Über Aralis

Vor Kurzem habe ich einen Kommentar zu Aralis gelesen, der mich ein bisschen nachdenklich gemacht hat, was mich dazu bringt, ein paar Gedanken zu ihr und ihrem Weg zu teilen. Dabei geht es um Hintergrundgedanken zu Entscheidungen beim Schreiben – und die Frage, warum man manchmal nicht allen Figuren das Ende gibt, das vielleicht für sie gewünscht würde.


Vorsicht – wer Prinz über Schatten und Licht nicht kennt und es noch lesen möchte, könnte im nachfolgenden Text Spoiler finden.

Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere enttäuscht über Aralis’ Entscheidung am Schluss gewesen ist. Schließlich war ihr Liebesglück ja recht greifbar. Mit Caylan hätte sie einen – auf den ersten Blick – perfekten Partner gefunden, ihren Prinzen und Retter, den sie sich ja Anfangs in ihrer Einsamkeit gewünscht hatte.
Anfangs.
Denn wäre es wirklich so gewesen?
Hier stand auch ich vor einer Entscheidung.
Aralis ist einen langen Weg gegangen – und einen harten noch dazu. Sie hat gewiss Liebe und Glück verdient. Aber wäre es wirklich richtig gewesen, ihr an einem Punkt ein Happy End zu geben, an dem sie ganz offensichtlich erst am Anfang steht? Wäre es richtig gewesen, zu sagen: Du musst nicht mehr wachsen, Du hast Deinen Prinzen auf dem weißen Ross und alles ist gut?
Das war für mich noch nicht der richtige Weg. Aralis muss lernen, selbstständig zu werden und auf sich selbst aufzupassen. Das hat auch sie erkannt – und so wäre ihre Entscheidung, Verantwortung für sich und ihr Erbe zu übernehmen und im Seelenmeer zu bleiben – auch nicht anders ausgefallen, wenn sie nicht ihre Schattenschwester hätte. Sie hätte dann vermutlich die Umarmung der Familie annehmen können, das ja. Allerdings, seien wir ehrlich: Dass Sofea, Vangelas und Cassipea Aralis dort unten sitzen lassen und nie wieder einen Gedanken an sie verschwenden, ist unwahrscheinlich. Selbst wenn Aralis das selbst im Augenblick anders sehen mag. Ihre Familie ist da, und man kann davon ausgehen, dass sie auch mit Nyra zusammenwachsen wird und sich für alle – frei von Demeas und dessen giftigen Einfluss – ein ganz neues Gefüge bilden wird. Neue Beziehungen. Freundschaften sogar. Es ist kein wirklich schlechtes Ende.
Natürlich ist es verführerisch, am Ende alle sichtbar glücklich zurück zu lassen. Aber – immer NUR auf den Ritter in der weißen Rüstung zu setzen, kann auch in der Fantasy nicht der richtige Weg sein und warum sollte es? Es geht um starke Frauen, die auch mehr im Sinn haben dürfen als das perfekte Liebesglück, selbst wenn die Liebe eine treibende Kraft ist. Aralis hat eine Bestimmung und entscheidet sich, dieser zu folgen. Das tut sie – auch – aus freien Stücken, weil sie sich für die Seelenfeuer verantwortlich fühlt und tatsächlich mit ihrer Heimat verbunden ist – so wenig einladend sie uns erscheint.
Die nächste Überlegung war natürlich: Wie würde denn ein Leben aussehen, das Caylan und Aralis teilen? Ein naturverbundener Greifenreiter im Seelenmeer? Wo es keine Sonne gibt? Nur verdorrte Vegetation? Oder Aralis für immer im Wald? Der natürlich auch für sie fremd wäre. Wäre sie dort glücklich? Oder würde sie sich eines Tages nach dem Seelenmeer sehnen. Könnte sie je dem Gedanken entkommen, dass sie vor ihrer Verantwortung geflohen ist? Dass sie die Seelenhüterin hätte sein sollen und ihrer Aufgabe den Rücken gekehrt hat? Gewiss, es gäbe eines Tages einen anderen Seelenhüter – aber ob Aralis sich von dem Gedanken lösen könnte, steht in einem anderen Buch – buchstäblich. Denn sie hat diese Aufgabe ja schon freiwillig früher übernommen.
Ich muss zugeben, dass der Gedanke, einen von beiden komplett zu verpflanzen, wenn ihre Wurzeln so stark sind, an diesem Punkt recht abwegig erscheint. Dafür ist diese Bindung noch nicht stark genug.
Kann sie das werden?
Ehrlich, ich weiß es nicht.
Aralis’ Geschichte ist noch nicht erzählt. Das war im Rahmen der Geschichte von Vangelas und Sofea so nicht möglich und hätte diese auch schlicht gesprengt. Natürlich war mir dieser Punkt immer bewusst. Ich hätte ihr also das Happy End geben können – die Schwester tot, alles gut, kurz, knapp und ein bisschen schief, weil die problematischen Punkte zwischen Aralis und Caylan dennoch geblieben wären. Oder ich kann diese Geschichte eines Tages so erzählen, wie es richtig ist: Vollständig. Nicht nur eine kleine Nebengeschichte in einem breiten Gefüge, die nur am Rande gestreift wird.
Diese Option wollte ich mir also bewahren.
Aralis hat ihre »Schwester« ja nun erst gefunden. Eine zweite eigenständige Seele, von der wir nichts wissen, da ihr Hintergrund ja nur bedingt relevant gewesen ist. Dass dort eine ganze Geschichte liegen muss, war für mich schnell erkennbar. Und eine Abkürzung, um das vollkommene Glück zu erzwingen? Das wäre verschenktes Potenzial, das ist sicher.
Es gibt viele denkbare Wege für Aralis und ihre Schattenschwester. Wege, die vielleicht am Ende zu Caylan führen – oder in eine ganz andere Richtung, die noch keiner sehen kann (gut, ich sehe sie, das muss ich ja).
Also ja, sie hat im Augenblick kein Happy End für sich oder Caylan. Und ob es das gibt, bleibt ungewiss. Aber sie war auch nur eine wichtige Haupt-Nebenfigur bislang. Sie war nicht die Hauptdarstellerin ihrer eigenen Geschichte – denn diese muss erst noch geschrieben werden.
Und vielleicht ist es vor diesem Hintergrund leichter zu verstehen, dass manchmal einfach noch nicht die Zeit für das große Glück gekommen ist – und dass man es nicht immer allen Charakteren geben kann. Selbst wenn man es ihnen wünscht.