Die Ich-Form hat in den letzten Jahren einen ziemlichen Image-Wandel durchlebt. Als ich Lukrezia – geschrieben in der Ich-Form – veröffentlichte, galt sie noch als typisches Zeichen für einen Schreibanfänger. Der Grund – dass man als Autor leichter in die Rolle schlüpfen konnte (auch wenn mir nicht klar ist, wo darin ein Problem liegt). Negativ besetzt auch dadurch, dass viele sie nicht mochten, weil sie eine zu große Nähe zum erzählenden Charakter erzeugt.
Das war natürlich erstmal ziemlich demotivierend. Da hat man seinen ersten Roman geschrieben und auf einmal war der eben typisch für Anfänger (ok, was ich gewesen bin) und auch alles andere darin war sowieso falsch, weil Schreibregel XY besagte, dass es eben so nicht sein darf. Angefangen bei: Aus dem Fenster sehen als Roman-Beginn ist ein No-Go, denn das machen nur blutige Anfänger. Gut. Zumindest das musste ich mir nicht ankreiden.
Von diesen Regeln gibt es mittlerweile Massen – die meisten sind meiner Meinung nach allerdings weniger logisch als eher in persönlichen Vorlieben desjenigen begründet, der sie aufgestellt hat. Mit der Ich-Form wird es nicht anders gewesen sein, aber damals war ich „neu“ und demnach leicht zu beeinflussen. Man weiß ja noch nicht, was richtig und falsch ist, was vielleicht sinnvoll ist oder eben wieder nicht. Dort sind Stimmen, die es ja „besser wissen“. Ja, in manchen Dingen schon, aber man muss abwägen, welche dies wohl sind und wo es wirklich nur um Ansichten geht.
Mittlerweile hat sich zumindest das Image der Ich-Form sehr stark verändert – denn plötzlich schien in manchen Genres beinahe jeder Roman in dieser verfasst. Die Ich-Form war von „Anfänger“ zu „Mode“ geworden. Ziemlich erstaunlich und schonmal ein Zeichen dafür, dass ihre Verpöntheit nicht unbedingt auf Fakten beruht hat. Die Verlage werden ja nicht plötzlich nur noch blutige Anfänger veröffentlicht haben.
Ich selbst habe seit Lukrezia keinen Roman mehr in der Ich-Form verfasst. Als ich Feenblut, meinen zweiten Roman seinerzeit nach einer langen Pause, schrieb, tat ich das in der 3. Person – aus der Sicht eines Erzählers, der zwar in den Köpfen der Charaktere zuhause ist, allerdings nicht selbst in diese Rolle schlüpft. Zuerst hat mir das ziemliche Probleme verursacht. Ich liebte die Ich-Form ja schließlich und war dort zuhause. Allerdings gab sich das mit der Zeit.
Die 3. Person erlaubte jedoch zunächst mehr Freiheiten, wenn es um Perspektivwechsel geht. Damals war es noch nicht an der Tagesordnung, dass man in Ich-Form-Romanen mehrere Erzähler hatte. Eine Kunst, die übrigens gar nicht einfach zu meistern ist, denn jedem Charakter in der Ich-Form eine eigene, erkennbare Stimme zu geben, ist schwierig und geht auch häufig schief. In der 3. Person, mit mehr Abstand, ist das leichter, natürlich auch für den Leser, weil man die Charaktere von außen benennt und sie nicht aus sich selbst heraus erzählen. Die Ich-Form ist also keineswegs für Anfänger – denn sie auf diese Weise zu meistern, ist eine Kunst.
Es hat sich dann bei mir eingebürgert, dass ich ziemlich viele Protagonisten pro Roman hatte, die eine eigene Stimme besaßen. Also blieb ich bei der 3. Person, obwohl ich immer wieder zu der Ich-Form schielte, weil sie für manche Projekte eine gute Wahl sein kann. So schreibe ich auch gerne Kurzgeschichten in der Ich-Form, denn diese erlaubt eine gewisse Tiefe und Nähe, die ich dann sehr angenehm finde.
Es gibt mehrere Projekte, die ich auf diese Weise begonnen habe und die noch nicht veröffentlicht sind. Bei einem bin ich noch unschlüssig. Ich-Form? Dritte Person? Wie viele Protagonisten werden eine Stimme brauchen? Soll ich mischen? Denn auch die Mischung aus Ich-Form und 3. Person ist natürlich im Bereich des Möglichen. Nähe und Abstand – auch das kann funktionieren.
Und das ist auch der Kern des Ganzen – es ist vollkommen egal, für welche Form man sich entscheidet. Keine ist besser. Keine ist wertvoller. Keine ist „nur für Anfänger“. Es richtet sich allein nach dem Projekt, das man zu schreiben gedenkt und danach, was sich eben dafür richtig anfühlt. Deswegen – sich von irgendwelchen Schreibregeln verwirren zu lassen, die mal auf irgendeinem Weg in einem Ratgeber oder im Internet gelandet sind, weil jemand es für sich richtig fand oder eine Vorliebe hatte, ist immer der falsche Weg. Nachdenken, abwägen, sehen, was funktioniert und was passt, wach bleiben und am Ende selbst entscheiden, ob ein Einwand sinnvoll ist – das ist der deutlich bessere.
Natürlich … macht es meine eigene Entscheidung nicht eben leichter. Aber wie ich mich letztlich für diese Projekte entscheiden werde, wird die Zukunft zeigen.