Ich sitze am Computer und mein innerer Bootcamp-Instructor brüllt: „Schreib, Du Luder! Schreib endlich!“, während ich mir überlege, ob ein Besuch der Kaffeemaschine nicht die bessere Option ist. Das ist momentan unser täglicher Kampf. Er schreit mich an und ich bin bockig und gebe ihm patzige Antworten. Noch gibt es ein bisschen Kleinkram zu tun, bevor das Tagespensum zu erfüllen ist. In der Charakterdatenbank wartet ein neuer Eintrag darauf, ausgefüllt zu werden. Ein neuer Charakter ist auf der Bildfläche erschienen und macht die Dinge komplizierter, als ich es zunächst angenommen habe. Aber das ist ok – es macht es nur schwieriger für mich, die Geschichte zu gestalten. Schaun wir, was die Datenbank über das Mädel an den Tag bringt.
Die fehlende Logik im ersten Kapitel hat sich irgendwo im dritten offenbart, als ich gar nicht danach gesucht habe. Mittlerweile gestaltet sich der Anfang also in etwa so, wie er soll und die Sache nimmt wasserdichte Formen an. Das bedeutet, dass sich langsam der Spaß am Schreiben anschleicht. Noch ist er zögerlich und versteckt sich schnell wieder, wenn ich ihn zu hart anpacke, aber ich werde ihn schon noch dauerhaft herauslocken.
Ich bin an sich nicht unzufrieden mit dem aktuellen Verlauf. Noch sind mir die Charaktere ein bisschen blass und ich muss nachschleifen. Ich weiß, dass Lyân ein durchaus schwieriger Charakter sein wird. Sie ist kantig und stur, kämpferisch und eigensinnig. Das mag nicht unbedingt jeder. Bislang war Neah sicherlich diejenige, die den Leser am schnellsten auf ihrer Seite hatte. Da ist die Versuchung groß, andere Charaktere ähnlich anzulegen. Allerdings braucht jedes Buch neue Charaktere und eine neue Geschichte. Wiederholen ist nicht – also fällt das flach. Ich muss aus dem kleinen Borstenvieh hier eine Frau zaubern, die einen Roman auf ihren Schultern tragen kann.
Seltsamerweise ist es gefühlt häufig so, dass man männlichen Figuren ihre Fehltritte schneller vergibt als weiblichen. Das merke ich oft – nicht nur bei meinen eigenen Büchern. Frauen werden strenger unter die Lupe genommen. Also ist es ungleich schwieriger, sie zu gestalten.
Charaktergestaltung ist ohnehin jedes Mal ein schwieriges Thema. Und bei jedem neuen Buch kämpfe ich lange damit. Die Ansichten, wie jemand zu sein hat oder wie er sich verhalten müsste, sind so unterschiedlich wie die Menschheit. Man kann es nicht jedem recht machen und verzweifelt manchmal an der Aufgabe, einen Mittelweg zu finden. Die erste Reaktion ist da oft: Schleife alle Ecken und Kanten weg, mach es gefällig und glatt. Aber das kann es letztlich auch nicht sein. Wenn mir das passiert (und das tut’s am Anfang oft), kommen Salz und Pfeffer auf den Tisch und ich würze so lange, bis die Persönlichkeit wieder zum Vorschein kommt.
Letztlich sind Buchcharaktere genauso wie echte Menschen. Sie verhalten sich nicht immer tadellos und tun nicht immer das Richtige. Man ist nicht mit allem einverstanden, was sie treiben oder möchte ihnen gelegentlich etwas Hartes gegen den Schädel hauen. Und solange das so ist, ist es auch gut. Denn nur dann leben sie. Wenn ihr Treiben mich gar nicht mehr interessiert, ist irgendetwas schief gelaufen. Nur – manchmal vergesse ich das selbst und dann bin ich meistens auf dem falschen Dampfer und darf den irgendwie wieder aufhalten.
Also bleibt Lyân borstig. Und ich versuche, ihr so viel Leben einzuhauchen, dass man ihr diese Borstigkeit verzeihen kann. 😉